Das Modellprojekt “Sozialgerichtliche Mediation in Bayern” wurde zwischen 2006 und 2008 am Sozialgericht München und am Bayerischen Landessozialgericht durchgeführt und die Ergebnisse wurden vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht zusammengestellt (wissenschaftlich Begleitung des Projektes: Frau Dr. Nikola Friedrich – Doktorandin von Prof. Dr. Ulrich Becker, LL.M. (EHI) Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Institus für ausländisches und internationales Sozialrecht)
Die Zusammenfassung und Empfehlungen der Studie:
4.1.
Das Modellprojekt „Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit“ war erfolgreich. Die empirischen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung belegen, dass in seinem Rahmen die mit einer gerichtsinternen Mediation verfolgten Ziele erreicht werden konnten. Das gilt sowohl für die Eignung der Mediation als in das Gerichtsverfahren eingebettete Konfl iktlösungsalternative als auch für die Vereinfachung der Konfl iktlösung insgesamt.
Naturgemäß stehen die Ergebnisse, wie bereits in der Einführung (1.) hervorgehoben worden ist, unter den mit jedem Modellprojekt verbundenen Vorbehalten. Auch ist die Zufriedenheit mit dem Mediationsverfahren und einer Mediationsvereinbarung nicht in Relation gesetzt worden zu Ergebnissen, die für den Abschluss sozialgerichtlicher Verfahren ohne Mediation gelten. Langzeitwirkungen der Mediationsvereinbarungen konnten nicht untersucht werden. Schließlich ist zu bedenken, dass in Relation zu der Zahl der sozialgerichtlichen Verfahren insgesamt im Rahmen des Modellprojekts nur eine sehr kleine Anzahl von Verfahren an die Mediation weitergeleitet worden ist (vgl. 3.1.). Das dürfte in erster Linie Folge fehlender Erfahrung und des Modellcharakters sein; über die Frage, welcher Anteil an Fällen überhaupt für eine Mediation geeignet ist, sagt die Zahl der durchgeführten Mediationen deshalb wenig aus.4.2.
Die Auswertung der empirischen Forschung führt zu – zum Teil sehr deutlich – positiven Befunden. Das ist bezogen auf die unmittelbaren Ziele einer erfolgreichen, von den Beteiligten als befriedigend eingestuften und den Verfahrensaufwand reduzierenden Regelung des Konfl ikts (4.2.1.). Es gilt aber ebenso für das über die Lösung eines anhängigen streitigen Verfahrens hinausreichende Ziel, möglichst die Wurzeln eines Konfl ikts zu erfassen und somit zu einer Konfliktvermeidung beizutragen (4.2.2.). Dabei lassen sich keine Anhaltspunkte dafür fi nden, dass die Anwendungsgebiete der Mediation gegenständlich beschränkt wären (4.2.3.).4.2.1.
Zur Erreichung der unmittelbaren Ziele ist Folgendes festzuhalten:■ Insgesamt konnte im Rahmen des Modellprojekts eine hohe Erfolgsquote von 80,2 % erzielt werden (vgl. 3.1.5.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch Fälle mit einer hohen Gesamtkomplexität oder einem hohen Schwierigkeitsgrad in der Beziehung zwischen den Beteiligten an die Mediation weitergeleitet wurden (vgl. 3.2.3.). In vielen Fällen ging mit der Mediation eine umfassende Konfl iktbearbeitung und -lösung einher (vgl. 3.6.6.); es konnte eine interessensgerechte (vgl. 3.6.3.), nachhaltige (vgl. 3.6.4.), dauerhafte (vgl. 3.6.5.) und über den ursprünglichen Streitgegenstand hinaus reichende (vgl. 3.6.2.) Lösung erzielt werden.
■ Die Mediationsverfahren führten zu einer sehr hohen Zufriedenheit der Beteiligten mit dem Verfahren (vgl. 3.4.1.) und einer relativ hohen Zufriedenheit mit dem Ergebnis (vgl. 3.4.3.).
■ Die gerichtsinterne Mediation kann zu einer höheren Effi zienz der Konfl iktlösung führen. Mit Hilfe der Mediation konnten Verfahren schnell einer Lösung zugeführt werden und kostenintensive Beweisaufnahmen vermieden werden (vgl. 3.6.5.).
4.2.2.
Vieles spricht dafür, dass die Mediation zu dauerhaften Lösungen und zur Vermeidung künftiger Konfl ikte beitragen kann:■ Die gerichtsinterne Mediation lieferte einen Beitrag zur tiefer greifenden Verbesserung von Konfl iktlösungen und in diesem Sinne zur Änderung der Streitkultur bei sozialrechtlichen Streitigkeiten. Sie führte in einem Fall zwischen Leistungsträgern zu einer Verständigung über ein dauerhaftes Konfliktmanagement (vgl. 3.6.7.). Konfliktparteien, die Erfahrungen mit der gerichtsinternen Mediation gemacht haben, können sich vorstellen, bei ähnlichen Konfl ikten erneut dieses Konfl iktbehandlungsverfahren zu probieren oder eigenständig durch konsensuale Streitbeilegungsbemühungen beizulegen.
■ In zahlreichen Fällen wurde die besondere Situation des Klägers thematisiert oder vorausgegangenes Verhalten der Behörde erörtert. Die gerichtsinterne Mediation trägt somit in besonderem Maße zum Rechtsfrieden bei.
4.2.3.
Was die Eignung von Streitigkeiten für die gerichtsinterne Mediation angeht, so lassen sich schon wegen verschiedener Selektionsmechanismen und der relativ geringen Zahl von Fällen nur wenige Aussagen treffen. Gegenständlich lag ein Schwerpunkt auf sozialversicherungsrechtlichen Streitigkeiten, während Streitigkeiten über Hilfeleistungen kaum erfolgreich im Mediationsverfahren beizulegen waren. Ob hier die Konfliktbereitschaft höher war oder vor allem rechtliche Fragen zu entscheiden waren, ist nicht ersichtlich. Jedenfalls bestätigt sich die Annahme, insbesondere die Fälle, in denen schwierige außerrechtliche Umstände zu beurteilen sind oder die Verwaltung Ermessensspielräume besitzt, seien für eine einvernehmliche Konfl iktlösung geeignet, nicht ohne weiteres. Was die Beziehung zwischen den Parteien angeht, so scheint es eher auf deren Dauer als auf persönliche Faktoren anzukommen.■ Erfolg versprechend ist die sozialgerichtsinterne Mediation vor allem in Angelegenheiten der Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung (vgl. 3.6.1.). Durch sie lassen sich insbesondere Streitigkeiten über Sozialleistungen und Erstattungsstreitigkeiten regeln (vgl. 3.6.2.).
■ Als besonders geeignet erwiesen hat sich die gerichtsinterne Mediation in Konstellationen, in denen zwischen den Konfl iktparteien eine dauerhafte (geschäftliche) Beziehung besteht bzw. eine zukünftige Zusammenarbeit notwendig oder gewollt ist.
4.3.
Die gerichtsinterne Mediation hat sich im Rahmen des Modellprojekts als wirksame und leistungsstarke Alternative zur Beilegung sozialrechtlicher Streitigkeiten durch richterliche Sachentscheidungen erwiesen. Welche Effekte man sich von ihr erwarten kann, wenn sie flächendeckend angeboten werden sollte, ist aber noch offen und hängt wesentlich von der künftigen Ausgestaltung des Mediationsverfahrens und dessen Verknüpfung mit dem sozialgerichtlichen Verfahren ab.Deshalb ist zu empfehlen, die gerichtsinterne Mediation in der Sozialgerichtsbarkeit fortzuführen und sie schrittweise unter Berücksichtigung weiterer Evaluationen aus zubauen. Die mit dem Modellprojekt gesammelten Erfahrungen sprechen dafür, auf eine umfassende Information sowohl der Richter im Allgemeinen als auch der Beteilig ten in konkreten Verfahren sowie auf eine Verbesserung der Bedingungen, unter denen Richtermediatoren tätig werden, Wert zu legen.
■ Die Weiterleitung von Verfahren an die Mediationskoordinatoren hängt im besonderen Maße von der Akzeptanz durch die gesetzlichen Richter und von der Zustimmung der Beteiligten ab. Eine dauerhafte Implementierung der gerichtsinternen Mediation setzt deshalb gute Kenntnisse über die Möglichkeiten und Grenzen der Mediation bei den Sozialrichtern voraus. Nur dann kann ermittelt werden, ob die Mediation im konkreten Fall geeignet ist. Das Wissen über die alternative Konfl iktbehandlung ist auch für eine gute Beratung der Beteiligten im Vorfeld notwendig, damit diese zu einer realistischen Einschätzung des Mediationsverfahrens, seiner Vorteile und seines Leistungsvermögens gelangen können.
■ Die gerichtsinterne Mediation stellt hohe Anforderungen an die Fähigkeiten und damit an die Aus- und Fortbildung der Richtermediatoren. Sie führt auch zu neuen Arbeitsbelastungen. Diesen Tatsachen sollte insbesondere bei einem Ausbau der gerichtsinternen Mediation angemessen Rechnung getragen werden. Als geboten erscheint deshalb nicht nur die Ermöglichung der Teilnahme an einschlägigen Bildungsveranstaltungen, sondern auch eine Freistellung der Richter für ihre Tätigkeiten als Richtermediatoren.
http://www.lsg.bayern.de/imperia/md/content/baylsg/mediationindersozialgerichtsbarkeit_ergebnisseeinesmodellprojekts.pdf