DIE HALTUNG DES MEDIATORS / Die Haltung des Aufstellungsleiters

„Nachdem ich inzwischen weit über hundert Dokumentationen von Mediationsprozessen gelesen habe, wird mir immer deutlicher, was eine gute MediatorIn ausmacht: Es ist zu einem kleinen, keineswegs unbeträchtlichem Teil, das Wissen, zu einem etwas grösseren Teil das Tun und zum grössten Teil das Sein“ (Kurt Südmersen, Ausbilder für Mediation GM, Mitglied der Anerkennungskommission).


DIE VIER A´s DER MEDIATIVEN HALTUNG (nach Nina Dulabaum)

ALLPARTEILICHKEIT

Allparteilichkeit ist eine empathische Grundhaltung allen Konfliktparteien gegenüber im gleichen Masse. Die MediatiorIn ergreift Partei für beide Seiten. Alle Perspektiven werden als prinzipiell gleichwertig anerkannt.

Das aktive Bemühen um Allparteilichkeit besteht in:

- offen wahrnehmen und die eigenen Wahrnehmung reflektieren

- Wahrnehmung und Reflexion der Körpersprache – der eigenen und der der Klienten – 80 % der Kommunikation verläuft nonverbal

- Nicht bewerten, statt dessen fragen, MediatorIn nimmt die Werte, Wertigkeiten und Wertzuschreibungen der Medianden ernst und gestaltet den Mediationsprozess, auch wenn sie nicht die des Mediators sind oder für ihn schlecht nachvollziehbar

-  Mediand respektvoll begegnen – darauf achten, dass keiner sein Gesicht verliert

- Konstruktiv widerspiegeln (Spitzen und Angriffe weitgehend herausfiltern) Positive Übersetzungstätigkeit


ANERKENNUNG

Anerkennung meint das Würdigen, das Respektieren und das Achten der Persönlichkeiten: Ich nehme die Personen ernst und begegne ihnen mit Wertschätzung.

AKZEPTANZ

Akzeptanz heisst, die Einzigartigkeit von Menschen anzuerkennen: Jeder Mensch hat seine eigenen Betrachtungen und Interpretationen, seine eigenen Empfindsamkeiten und Fähigkeiten, die Welt wahrzunehmen und ihr zu begegnen. Eine akzeptierende Haltung einzunehmen bedeutet, wertfrei anzunehmen was ist, unabhängig davon, wie vertraut oder fremd eine Verhaltensweise oder Handlung für mich sein mag.

AFFIRMATION

Positive Bestätigungen der Konfliktparteien: Ich gebe Ihnen meine Aufmerksamkeit und bin an Ihrer Sache interessiert. Ich traue Ihnen zu, den Konflikt zu lösen.

Das Bestätigen folgt dem Respekt der Andersartigkeit des Anderen; es setzt in vielen Fällen voraus, dass sich der/die Bestätigende in den Anderen hinein versetzten kann (Ich nehme wahr, dass das eine sehr belastenden Situation für Sie ist!) Durch Bestätigung fühlt sich die Person gesehen.

Die MediatorIn wie die AufstellungsleiterIn muss sich zurücknehmen, um offen wahrzunehmen, was ist. Beide (die AufstellungsleiterIn und die MediatorIn) setzten sich einer Wirklichkeit aus, wie sie an der Oberfläche erscheint, also, was der Klient sagt, was geschehen ist, wie er es sieht und ähnliches.

Aber zur gleichen Zeit schauen sie nicht nur auf den Klienten, sondern lassen das ganze Umfeld auf sich wirken, das verborgen ist. Diese Art der Aufmerksamkeit ist nicht gezielt auf einen Punkt, sondern sie geht in die Weite, ohne dass man etwas Bestimmtes sucht nimmt sie wahr, was noch mitschwingt. In der Aufstellung frägt die AufstellungsleiterIn ebenfalls die Repräsentanten nach ihren subjektiven Wahrnehmungen und Gefühlen und stellt sich bei großen Emotionen dazwischen –wie die MediatorIn- und reframt.

Beide haben keine Absicht (eine Absicht engt das Blickfeld ein) und keine Angst vor dem, was hochkommt.

Und ebenso wie die AufstellungsleiterIn benötigt die MediatorIn Mut, sich dem zu stellen, was kommt und aus dem Nicht-Ändern-Wollen und stattdessen Sein-Lassen, es Stehen-Lassen zu können, was ist, ohne Wertung, ergibt sich die Möglichkeit hilfreich mit dem umgehen zu können, was sich zeigt. Beide sind im Einklang mit der Welt, wie sie ist, mit den Schicksalen, wie sie sind, mit dem Leben wie es ist. Sie treten nicht auf als jemand, der gegen etwas antritt und es verbessern will oder der weiss wie es geht oder was richtig ist. Sie können die Menschen stehen lassen, wie sie sind. Den anderen als Person und Persönlichkeit akzeptieren und annehmen, mit seinen Schwächen und Eigenheiten, ernst nehmen.

Wertschätzung geht nicht ohne wirkliches Interesse am Menschen. Die Mediation beachtet sowohl die sachliche als auch die emotionale Dimension des Konflikts. Voraussetzung für die konstruktive Konfliktlösung ist die Achtung und Bestätigung der Gesprächspartner. Die Medianden müssen sich akzeptiert und verstanden fühlen, um sich anderen zuwenden und Verständnis für diese gewinnen zu können. Genauso ist Voraussetzung einer Aufstellung die Achtung des Klienten, seines Systems und seines Schicksals.

MediatorIn wie AufstellungsleiterIn drücken diese Wertschätzung im ganzen Verhalten und Umgang aus, besonders jedoch, indem sie aktiv zuhören, alles zur Sprache kommen lassen und nichts verurteilen oder werten. Sie nehmen Gefühle, Widerstände, Einstellungen, Interessen ernst, auch wenn sie sie nicht unbedingt teilen. Alle Beteiligten, in der Mediation sowie in der Aufstellung, sind ergebnisoffen, interessenoffen, gemessen an den sachlichen oder emotionalen Interessen.

Erst wer die Furcht überwunden hat, kann klar sehen was ist. Sowohl für die AufstellungsleiterIn als auch für die MediatorIn ist Furchtlosigkeit eine wichtige Voraussetzung, denn sie müssen aushalten können, was immer sich ihnen zeigt. Und so müssen beide in der Lage sein hineinzugehen, sich tragen zu lassen und dem zu vertrauen, was kommt. Das kann man, wenn man respektiert, dass die Lösung in dem Klienten selbst liegt (und nicht in der AufstellungsleiterIn/MediatorIn). Abgesehen davon, dass Vertraulichkeit sowohl für die MediatiorIn als auch für die AufstellungsleiterIn verpflichtend ist, gehört zur Tätigkeit der MediatorIn/AufstellungsleiterIn viel Vertrauen - in sich selbst und in die Medianden/Repräsentanten. Der sehr erfahrene amerikanische Mediator John Haynes hat gesagt: Jeder Mensch trägt die Weisheit in sich, zu wissen, was für ihn gut ist.

Vertrauen muss ich zuallererst und vor allem aber mir selbst – mir als MediatorIn, mir als AufstellungsleiterIn. Zu diesem Selbstvertrauen gehört vielerlei: Ich muss wissen, was ich will. Ich muss wissen, was ich leisten kann. Ich muss Wunsch und Realität in Einklang bringen. Ich muss, um Wichtiges zu erreichen, auf nicht so Wichtiges verzichten. Und einem anderen vertrauen heißt: mich ohne Angst mitteilen zu können und mir Mitgeteiltes für mich zu behalten. Vertrauen heisst auch, nicht meine Wertmaßstäbe an das Empfinden und Verhalten anderer anzulegen.

Der Klient ist selbstverantwortlich, entscheidungsbefugt und –kompetent. Es geht um die unvertretbare personale Antwort (unvertretbar = eine andere Person kann nicht für uns antworten). Deshalb verlangt der Charakter der Mediation/Aufstellung als Respekt vor der eigenverantwortlichen Lösungskompetenz jedes Teilnehmers, dass dieser frei und willig in die Mediation/die Aufstellung kommt und er seine Lösung selbst erarbeitet, da er sie auch selbst zu tragen hat bzw. seine Lösung sich zeigen darf und er nur soweit geht wie er es zulassen kann.

Jeder ist für die Wahrnehmung und Wahrung seiner eigenen Grenzen zuständig und muss sich auch zeigen und ausdrücken. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Diese Verantwortung wird niemanden durch die Leitung abgenommen. Es ist die Aufgabe der Leitung den Klienten aus seiner Opferrolle zu holen und ihm zu helfen, seine eigene Verantwortung zu erkennen und zu übernehmen. Nur wer für sich die Verantwortung übernimmt, kann an einer Lösung arbeiten, die er annehmen kann.

Realität ist Autorität, denn die Illusionen von heute sind die Katastrophen von morgen (Ruth Cohn). Beide, die MediatorIn wie die AufstellungsleiterIn bringen die Handlungen und das Erleben hinein, indem sie die Dinge beim Namen nennen: was ist geschehen, wie hat es der Klient erlebt. Es geht um die ungeschminkte Wahrheit, auch wenn sie zunächst schlimm klingen mag. Je näher wir an der tatsächlichen Beschreibung des Geschehens bleiben, desto klarer wird es, desto kraftvoller wird eine Aussage. Selbst das Schrecklichste verliert einen Teil seines Schreckens dadurch, dass es beim Namen genannt wird. Das Geschehen kann dadurch weiter angeschaut werden.

Aus dem Glauben, dass Wahrheit heilt und mit dem Grundwillen, alles erst mal so zu akzeptieren, wie es nun mal ist, ergibt sich dann auch ein Sprechen des Mediators/Aufstellungsleiters, das klar und wahr ist, ohne zu verletzen oder zu beschönigen. Je einfacher das Erlebte ausgesprochen wird, desto größer ist ihre Kraft. z.B. zunächst durch Doppeln Offensichtliches benennen: Ich war sprachlos. Die Gefühle, die dann hochkommen dürfen, brauchen ihren Raum, müssen benannt werden. Unterschwellige Gefühle werden explizit ausgesprochen und richtig etikettiert. Dadurch wirken sie nicht mehr unterschwellig vergiftend. Die Gefühle aus der Abwehrschicht (Kern-Schalen-Modell nach Samuel Widmer)  dürfen zunächst sein und werden überflüssig, sobald das Gefühl dahinter (das Weh-Gefühl) ebenso ausgesprochen wurde. z.B. kann hinter Überheblichkeit ein starkes Bedürfnis nach Wertschätzung stehen, hinter Zynismus eventuell Einsamkeit…, nach dem Prinzip: Identifizieren – Etikettieren – Vertiefen – Akzeptieren.

So werden z.B. durch Doppeln die zwischen den Zeilen gehörten Botschaften und Beobachtungen vom AufstellungsleiterIn/MediatorIn  für den Klienten ausgesprochen. Es ist wichtig, dies als Vorschlag, als Angebot mit äussester Sorgfalt, Einfühlung, Respekt und Vorsicht zu formulieren, der Klient überprüft, ob es für ihn stimmig ist oder nicht bzw. ob es umformuliert werden muss.  Die jeweiligen Sichtweisen und Gefühle werden vorwurfsfrei ausgesprochen, so dass für alle ein genaues und umfassendes Gesamtbild entsteht. Die Gefühle auszudrücken, ohne jedoch den anderen zu verletzten, das verschafft „Luft“ und verhilft zu einem vertieften Verständnis. Bevor eine Anerkennung der gegenseitigen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche und mit ihnen alles, was den Klienten bewegt, was gelöst werden soll, möglich ist, müssen die eigenen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche ausgedrückt und formuliert werden, muss eine Selbstklärung erfolgen. In der Mediation unter Geschäftspartnern kann vielleicht nicht jedes Gefühl so offen benannt werden, jedoch muss mit den Gefühlen gearbeitet werden.

Es ist paradox: Zu sagen, „ich habe kein Vertrauen“, ist der größte Vertrauensbeweis, der in einem solchen Moment möglich ist. Negative Äußerungen über die Beziehung sind das Ehrlichste und damit Vertrauensstiftende, was in dem Moment geht. Das heißt, dass diejenigen, die als Kommunikationsterroristen erlebt werden, die das Negative auf den Tisch bringen und offen aussprechen, die sind, die noch Interesse und Hoffnung haben auf eine Verbesserung der Situation.

Sowohl für die Mediation als auch für die Aufstellung hat der Transformationssatz Gültigkeit:

-          Bekräftigung (Empowerment), die eigenen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche und mit ihnen alles, was Sie bewegt, was geregelt werden soll, auszudrücken und zu formulieren

-          Anerkennung (Recognition) der gegenseitigen Interessen, Bedürfnisse, Wünsche, Ziele, Fertigkeiten, Optionen, Ressourcen als innere Reserven usw.

Sowohl im Mediationsprozess als auch in der Aufstellung gilt Verfahrensneutralität in Bezug auf Schuld und Gerechtigkeit. Das Bemühen um Verfahrensneutralität ist schwierig, da die Klienten manchmal an unterschiedlichen Ausgangspunkten stehen, was z.B. ihre Ablösung voneinander anbelangt. Verfahrensneutralität bedeutet in beiden Fällen, Raum zu schaffen für die Wahrnehmung der Klienten/Repräsentanten, da sie an verschiedenen Ausgangspunkten stehen. Dies löst häufig sehr heftige Gefühle aus. Die MediatorIn sowie die AufstellungsleiterIn müssen sich nach dem Langsameren richten. Um in solchen Situationen von Ängsten, Vorurteilen und scheinbar unumstößlichen Positionen wegzukommen, muss die MediatorIn die Klienten wirklich verstehen und sie dadurch unterstützen, für sich selbst einzustehen. Auf Grundlage dieses Verständnisses kann es in der Mediation in kleinen Schritten weitergehen von Positionen in Richtung darunter liegender Interessen.

Die Bedürfnisse/Interessen sind nicht verhandelbar und können daher vom anderen stehen gelassen werden. Die AufstellungsleiterIn sorgt ebenso wie die MediatorIn dafür, dass sich der Klient/Repräsentant als eigenständige Person wahrnehmen kann, getrennt vom anderen. Weder MediatorIn noch AufstellungsleiterIn leiden mit dem Klienten, sondern fühlen mit, bringen den Klienten weg von der Opferhaltung, hin in die Eigenverantwortung. Denn wer gesehen wird, kann sich zurücknehmen und hat dadurch die Chance zur Einsicht. Wichtig ist für die MediatorIn /AufstellungsleiterIn eine positive Einstellung zum Leben, zu Menschen; in konfliktreichen Situationen und in Krisen auch die Potentiale und Chancen für Wachstum und Veränderung zu sehen, Spannungen auszuhalten.

Darüber hinaus ist die Authentizität und Klarheit der MediatorIn/AufstellungsleiterIn als Person und Persönlichkeit Vorrausetzung, damit sie in ihrer grundsätzlichen Haltung wahrnehmbar und wahr nehmbar für den Klienten ist und sie ist zu 100% präsent. Scharfblick und Herz müssen eine gute Verbindung zueinander haben. Auch das Herz soll sich nicht nur nach außen richten, sondern auch das Innere des Mediators liebevoll akzeptieren. Alle Schattenseiten, die man an sich kennt und akzeptiert, kann man auch bei anderen akzeptieren.

In der Mediation wie in der Aufstellung findet eine Begegnung mit dem gesamten (handlungs- und gefühlsleitenden) Welt- und Menschenbild des Mediators/Leiters und seiner Persönlichkeit statt, welche sich in seinem gesamten Sein ausdrücken und als verborgenen Voraussetzungen all seiner Interventionen wirksam werden. Hier wirken verarbeitete Spuren, die das Leben hinterlassen hat.