Aufstellung – wie ich sie lebe

“Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. – Aristoteles”.
Wir leben in einem System, dh. in einer bestimmten Kultur, Gesellschaft, Familie, auch unser Körper/Geist/Seele ist ein System. Und die „Mitglieder“ eines Systems stehen miteinander in Beziehung. Wie wir mit jemanden in Beziehung treten ist abhängig von unseren Erfahrungen und unsere Erfahrungen bestimmen, was und wie wir etwas wahrnehmen, erleben und bewerten. Machen wir andere Erfahrungen, verändert sich nicht nur unsere Sicht, sondern unsere Beziehung.

In einer Aufstellung werden die Beziehungen sichtbar. Was und wie wir etwas wahrnehmen, erleben und bewerten. Das, was z.T. unbewusst in uns vorgeht wird nach außen gebracht und sichtbar. Innere Bilder werden nach außen gebracht, damit man sie ansehen kann. Man sieht nicht nur, warum man sich wie fühlt in Beziehung zu x, y, sondern auch, warum und wie sich x, y fühlt in Beziehung mit uns. Es wird immer nur ein Thema aufgestellt und der Fokus auf die damit in Verbindung stehenden Beziehungen gerichtet. Jeder hat seine guten Gründe, sich so zu fühlen und zu verhalten, wie er es tut. In einer Aufstellung wird dies erlebbar. Es werden die Zusammenhänge offensichtlich. Die Perspektive wird erweitert, aus dem ICH, das sich um sich selbst dreht, wird ein ICH, das sich innerhalb einer bestimmten Welt, eines bestimmten Kontextes, eines bestimmtes Systems erlebt, ein Individium, das Teil eines größeren Ganzen ist. Durch das erweiterte Erleben beginnt sich bereits die Beziehung zu verändern – vorausgesetzt, man trägt in sich die innere Bereitschaft dazu.

Die Wissenschaft sagt: das System muss anschlussfähig sein und ein System kann sich nicht radikal verändern, da kein System eine radikale Veränderung überleben würde. Dies bedeutet, dass sich in einer Aufstellung nur soviel zeigen wird, das soviel Veränderungspotenzial enthält, dass das System nicht überfordern wird. Die Aufstellungsleiterin hält den Raum, damit sich das zeigen kann, was ist und gesehen und benannt werden will, um integriert zu werden.

Das, was uns alle berührt, und das, wonach wir uns alle sehnen, ist gesehen zu werden, ohne Bewertung, ohne Beurteilung, dass unser Wesen, unser Sein wahrgenommen wird, wie es ist, sein darf. So geht es allen, allen die Teil eines Systems sind. Es geht nicht um Recht haben oder im Recht sein, sich zu rechtfertigen, zu verteidigen, es geht darum, wieder seinen inneren Frieden zu finden.

Gleichzeitig ist das wichtigste eines jeden dazuzugehören. Dies ist nicht nur insbesondere für ein Kind überlebenswichtig. Dafür sind wir bereit, viel von uns aufzugeben, zu verdrängen, wegzugeben – wonach wir uns dann sehnen, denn uns fehlen diese Teile, die wir nicht leben durften, weil wir z.B. unseren Eltern damit „zuviel“ gewesen wären.

Man spricht auch von ‚Transgenerativen Traumatas‘. Das Trauma selbst wird nicht weitergegeben; allerdings z.B. die Stressverarbeitungsfähigkeit, die Atmosphäre der Familie, die Auswirkungen, die aus den unbearbeiteten Traumen der Elterngenerationen erwachsen, sog. “abgeschaltete” Gene (siehe Epigenetik), …Wenn also z.B. den Eltern die eigenen Gefühle nicht zugänglich sind, dann findet keine ausreichend gute emotionale Resonanz mit den eigenen Kindern statt, wenn wenig Körperlichkeit durch die Eltern erlebt wurde, so ist der eigene Bezug zum eigenen Körper oft schwierig, starke Bedürfnisse nach Anerkennung, maximale Anpassungsfähigkeit, mangelnde Abgrenzungsfähigkeit oder der Gegenpart hiervon wie z.B. die eigene Unabhängigkeit über alles zu stellen, wirken sich behindernd aus auf die Lebensfreunde, einem gesunden Verhältnis von Spannung und Ruhe, von Geben und Nehmen, Leistung und Entspannung uvm. (vgl. Artikel des Institutes für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main: Trauma und Gesellschaft). Es geht um die Balance der beiden Gegensatz-Pole, denn das bedeutet Harmonie. Doch dazu müssen auch beide Pole gelebt werden können/dürfen.

Und schließlich belegen wissenschaftliche Studien, „dass sich die transgenerativen Weitergaben vor allem auf die Übermittlung emotionaler Blockaden und die mangelnde Wahrnehmung und Differenzierung von Gefühlen wie zum Beispiel Ängsten, Trennungsproblemen, depressiven Stimmungen beziehen, aber auch auf die Fähigkeit zur Selbstfürsorge… Die Kinder – dies ist die Botschaft – profitieren von einer stattfindenden Klärung und Durcharbeitung der ungelösten psychischen Altlasten bei den Eltern.” (H. Timmermann: Mehrgenerationale Fallrekonstruktionen. Frankfurt/Main, S. 267 ff). Entweder “zwingt” uns unsere Seele über unseren Körper oder aufgrund der Resonanz mit unserer Umwelt oder wir sehen uns durch unsere Kinder “gezwungen”, endlich das Verdrängte (die Erfahrung incl. der damit verbundenen Emotionen und Gefühle) wieder zu integrieren, um den inneren Frieden wieder zu finden und die Energie/Lebensfreude freizusetzen, die es kostet, das unverarbeitete Erlebnis und alles, was uns daran erinnert wegzudrücken, weil es oft mit Schmerz verbunden ist.

Aus Loyalität ist es uns oft nicht möglich, das was zu uns gehört wieder anzunehmen und zu leben oder etwas über das innerhalb der Familie nicht gesprochen werden darf auszusprechen, etwas, das nicht gesehen werden darf, zu sehen; Tabus, Muster zu brechen, Traumata zu integrieren – denn sie sind mit Schmerz, Angst, Scham oder Schuld verbunden. Die Person, die es doch tut, ist ein Systembrecher. Es erfordert Mut und Vertrauen und Liebe, etwas zu brechen, es aufzubrechen, die Verletzung zu sehen, anzunehmen, den Schmerz zu fühlen, zu trauern, damit es heilen kann und das Leben endlich  bereichert statt weiterhin beschränkt. Dies ist nicht immer innerhalb nur einer einzigen Aufstellung möglich. Manchmal ist eine Aufstellung dazu da, die Tür, die zuvor verschlossen war, aufzusperren und einen Spalt breit zu öffnen. Und man braucht dann evtl. anschließend Zeit, um sich damit auseinanderzusetzen, die Kraft zu sammeln, um bereit zu sein, sie  aufzustoßen und die damit verbundenen Änderungen auch wirklich zu wollen. Denn man wird dann vom Opfer zum Täter, zum Gestalter seines Lebens. Zu jemaden, der die Verantwortung und damit die Macht über sein Leben wieder an sich nimmt.

So können manche Themen innerhalb einer Aufstellung angesehen werden und der innere Frieden damit gefunden werden und bei anderen Themen kann nur eine Tür aufgemacht werden. Die Entscheidung, was uns wie möglich ist, kann nur derjenige selbst treffen und jeder fühlt selbst, was für ihn stimmig und welche Zeit angemessen ist. So lehrt die Aufstellung auch immer Demut, Demut vor der tiefen Weisheit eines jeden in uns selbst. Und ich als Aufstellungsleiterin, verneige mich jedes Mal in Demut vor der inneren Weisheit desjenigen, für den die Aufstellung ist, nehme mich selbst zurück, mein Ego, das für den anderen machen will, damit der sichere Raum entstehen kann, indem die „innere Weisheit“ dessen, der aufstellt sich ausbreiten darf, um selbst das zu “machen”, was für denjenigen zu seinem höchsten Wohl in diesem Moment machbar ist.

Es ist meine Aufgabe, den sicheren Rahmen zu halten, indem sich alles zeigen darf, was ist, um benannt, gesehen, gefühlt – erlebt zu werden, um es zu transformieren, als ein Teil, der nicht mehr länger ausgeschlossen, verdrängt, weggedrückt wird, sondern endlich als Lernerfahrung integriert wird und damit nicht nur die Energie wieder zur Verfügung steht, die es gekostet hat, es auszuhalten und zu verdrängen, sondern das damit verbundene Potential endlich gelebt werden kann. Der Schmerz war damals, als es überlebensnotwendig war, alles, was damit verbunden war abzuspalten. Die innere Sehnsucht danach, nach dem Teil von uns, den wir mit abgespalten haben und uns seither fehlt bleibt.

Wir haben bzw. unsere Familie hat überlebt und wir hätten nun andere Möglichkeiten damit umzugehen. Doch solange wir nicht erleben, dass dies möglich ist, haben wir keine anderen Erfahrungen und damit keine anderen Handlungsalternativen. Die Seele spricht über den Körper mit uns. Und treibt uns an, den Mut zu finden, das, was zu unserer Lebensgeschichte gehört, auch wenn es mit dem Schmerz von damals verbunden ist, heute anzunehmen, das, was zu uns gehört, uns vollständig anzunehmen, die Verantwortung für uns zu übernehmen, die eigene Kraft anzunehmen, die Macht sein eigenes Leben zu leben, indem der innere Frieden gefunden wird, mit dem was war, damit es nicht mehr länger schmerzlich Einfluss nimmt, auf das was ist.

Setzen wir uns mit uns selbst auseinander, statt uns mit anderen auseinanderzusetzen, so ist dies nicht nur effektiver, sondern erspart uns unsere Themen mit anderen auszutragen, was nie zu einer Lösung führt – nur zu endlosen Wiederholungen, bis wie endlich erkennen, dass es mit uns zu tun hat und nicht mit dem anderen, der uns nur einen Spiegel vorhält, damit wir endlich uns selbst wahrnehmen.

Wir werden uns unserer selbst bewusster, dies stärkt nicht nur unser Selbstbewusstsein, sondern auch unser Selbstvertrauen, denn wer sich selber besser kennt, weiss auch besser, warum er wie wann reagieren wird. Wer immer mehr das, was zu ihm gehört, nicht weiter verleugnet, muss es nicht weiter bei anderen bekämpfen. Wer liebevoll all seine Extreme annimmt, dem steht die ganze Fülle zur Verfügung, der ganze Reichtum seiner Selbst.

Und jeder, der sich mit sich selbst auseinandersetzt, weiss, was dies nicht nur an Mut kostet und ist sich sehr genau dessen und damit seines Wertes bewusst. Das Selbstwertgefühl, das können wir uns auch selbst geben, wie so vieles, das wir glauben, das uns andere geben sollten. Erwachsen sein bedeutet, für sich selbst zu sorgen, dafür zu sorgen, dass das was einem selbst als zu wenig erscheint, in einem selbst wachsen kann. Die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, das gibt uns die Freiheit uns selbst wahrzunehmen und entsprechend zu wachsen, so wie es für uns stimmig ist, im Einklang mit uns selbst und damit mit allem, was ist. Letztendlich geht es also um die Beziehung zu uns selbst und damit um unsere Beziehung zu unserer UmWelt.

Und schlussendlich ist der Schlüssel das Geben und Nehmen. Die Verantwortung für die eigenen Erwartungen an andere Menschen übernehmen und diese Erwartungen an diese Menschen aufzugeben. Dies macht uns frei für neue Erfahrungen und diese Möglichkeit, die sich dadurch ergibt, dankbar annehmen. Und mit dem Herzen vergeben, dem anderen und uns selbst vergeben. Denn in der Tiefe unseres Herzen sind wir alle eins. Wir sind uns einander Lehrer und Schüler. Und in diesem Moment des inneren Friedens der entsteht, wenn wir in Dankbarkeit annehmen was ist und in Eigenverantwortung aufgeben was nicht ist (unsere Erwartungen), dann geschieht Heilung und wir sind in der Gegenwart angekommen (und leben nicht länger in der Vergangenheit oder in der Zukunft).